Wie selten findet man ein Buch, das einen nicht nur ablenkt, sondern richtig sortiert? Auf mich hat „Stolz und Vorurteil“ immer diese klärende Wirkung, aber das liegt wahrscheinlich daran, dass ich es so oft gelesen habe, dass es sich wie ein Besuch bei einer alten Freundin anfühlt. Als ich zum ersten Mal „Ein Gentleman in Moskau“ von Amor Towles gelesen habe, hatte ich nicht nur einen schlechten Tag, sondern viele – und ich hätte mir nicht vorstellen können, wie wohltuend ein Buch sein kann, das einem zeigt, wie man auch im größten Chaos eine eigene Ordnung finden kann. In diesen chaotischen und verwirrenden Zeiten ist „Ein Gentleman in Moskau“ deshalb mein Tipp für mehr innere Klarheit!
Worum es geht:
Im Russland der 1920er wird Graf Rostov lebenslanger Hausarrest auferlegt – den soll er im Hotel Metropol verbringen. Dort richtet er sich also ein: Das prächtige Hotel schafft eine hochatmosphärische Kulisse und wird zu einer eigenen kleinen Welt, in der Graf Rostov vielen einprägsamen und schillernden Figuren begegnet. Als er sich um die kleine Tochter einer Freundin kümmern soll, trägt er auf einmal Fürsorge für jemand anderen, und es entwickelt sich eine wunderschöne Freundschaft.
In einer Situation, in der man leicht den Verstand verlieren könnte, schafft es Rostov, der zu Beginn des Hausarrests erst dreißig ist, er selbst zu bleiben. Seine besondere Art, seine Begegnungen und Erfahrungen im Hotel Metropol machen diesen Hausarrest und „Ein Gentleman in Moskau“ zu einem absolut verzaubernden Leseerlebnis.
Das Besondere an diesem Buch:
Graf Rostov ist ein eindrücklicher Erzähler – klug, elegant, mit viel Understatement. Er lässt die Welt um ihn herum für den Leser lebendig werden, ist ein unglaublich guter Beobachter, hat eine ganz eigene Exzentrik und ist gleichzeitig so liebenswürdig – ein innerer Gentleman -, dass es einem das Herz wärmt. Wie er sich in einer politisch turbulenten Zeit seine eigene Ordnung schafft, ist beeindruckend. Graf Rostov ist wirklich allerbeste Gesellschaft für unsichere Zeiten!
Ein guter Moment für dieses Buch:
Mit einer Figur, die eine von außen extrem eingeschränkte Situation mit Leben und Sinn füllt, ist „Ein Gentleman in Moskau“ ein Roman, der einen versteht und aufbaut, wenn die äußeren Umstände, in denen man bisher gelebt hat, sich auf einmal verändern – sei es durch Corona, einen Umzug oder andere Umbrüche. Auch wenn man einen schlechten Tag hat, traurig ist oder allgemein etwas Aufmunterndes brauchen kann, wird dieser Roman sicherlich guttun. Mich selbst hat er sortiert, aufgemuntert, unterhalten – und mir gezeigt, dass egal was das Leben einem gerade beschert, sich irgendwann die Puzzleteile zusammenfügen und man das Schöne und Menschliche wiederfindet.
Wer bei diesem Buch in jeder Stimmung richtig ist:
- Fans von „Der große Gatsby“.
- Menschen, die im Hotel das Frühstück am meisten genießen, weil sie die Atmosphäre so gerne mögen.
- Großstadtmenschen – der Roman spielt zwar im Hotel, aber die Stadt vor der Tür ist förmlich spürbar!
Wann ich zu etwas anderem greifen würde:
Es geht mir nicht oft so, aber für dieses Buch fällt mir keine Situation ein, in der ich es nicht lesen würde. Es führt einen in eine Welt, die so weit weg von der eigenen ist, dass man abtauchen kann, wenn man das will, und gleichzeitig wird man dort so aufgefangen, dass es alles andere als reiner Eskapismus ist. Es ist ein Buch, das zum Genießen gemacht ist – man kann sich in aller Ruhe an der Sprache und ihren Bildern freuen. Und man kann es verschlingen, weil es einen so in den Bann zieht. Es ist ein schillerndes Buch mit Figuren, die einem bleiben werden, und gleichzeitig ein Einblick in eine spannende Zeit. „Ein Gentleman in Moskau“ ist ein Buch, das man nicht wieder vergessen wird!
Daten zum Buch:
Titel: Ein Gentleman in Moskau
Originaltitel: A Gentleman in Moscow
Autor: Amor Towles
Übersetzer: Susanne Höbel
Verlag: Ullstein Verlag
Seiten: 560
Preis: 12 €
ISBN: 9783548290720
Eine Leseprobe und weitere Informationen findest du hier auf der Verlagswebsite von Ullstein.